Geschichte der DDR-Tanzmusik

Aus DDR-Tanzmusik
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Die DDR ist Geschichte, genauso wie ihre Tanzmusik.
Nach dem zweiten Weltkrieg fiel in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in Europa ein Eiserner Vorhang, der Kalte Krieg ließ die Menschen frösteln. Die SED und die Regierung der DDR wollten im Osten eine Musik schaffen, die vom „neuen, sozialistischen“ Leben geprägt wird. Diesbezüglich fassten sie Beschlüsse und erließen Verordnungen, die besonders in den 1950ern das Senden, Produzieren und Spielen in der Öffentlichkeit von Jazz und Swing eingrenzten und ab 1965 für einige Jahre zu Verboten von Rock- und Beatgruppen führten. So z.B. verbot am 4.April 1950 das Ministerium für Volksbildung das Abspielen von angloamerikanischer Tanzmusik in der Öffentlichkeit. Auch wurde gefordert, dass aus den ostdeutschen Lautsprechern die Musik der 1930er und 1940er durch neue, und vom Aufbau einer von der sozialistischen Entwicklung geprägten Musik ersetzt wird.
Die im Osten 1947 gegründete „Lied der Zeit-Schallplattengesellschaft mbH“ veröffentlichte zunächst auf dem Label "Amiga" zeitgenössische Unterhaltungsmusik: Schlager, Jazz und volkstümliche Musik. Bis etwa 1950 wurde überwiegend von Komponisten und Autoren geschrieben, die im Westen Deutschlands zu Hause waren bzw. in der UFA-Zeit große Popularität genossen. Bereits erfahrene Interpreten und Orchester starteten so auch bei Amiga und beim damaligen ostdeutschen Rundfunk neu durch. So u.a. Margot Friedlaender, Ingeborg Oberländer, Rita Paul, Evelyn Künneke, Ursula Maury, Undine von Medvey, Bully Buhlan, Ilja Glusgal, Erwin Hartung, Peter Rebhuhn, Cornel-Trio…Weitere in Westberlin bzw. in der BRD lebende Interpreten sangen auch bei Funk und Amiga bis 1962, darunter Ilse und Werner Hass, Renee Franke, Nana Gualdi, Leila Negra, Peter Beil, Ralf Paulsen, die Ping Pongs.
Ab 1950 waren aus dem Amiga-Studio und den DDR-Funkhäusern junge DDR-Interpreten nicht mehr wegzudenken, so Irma Baltuttis und Fred Frohberg, Sonja Siewert und Herbert Klein, Brigitte Rabald und Hanns Petersen. Sie coverten allerdings zunächst überwiegend populäre Westschlager und wurden meist von Kurt Henkels und seinem Leipziger Tanzorchester begleitet, wie auch von den Westberliner Orchestern Walter Dobschinski, Heinz Becker, Kurt Hohenberger und Lubo d’Orio. Diese Bands wurden Mitte der 1950er abgelöst von den DDR-Orchestern Gerd Natschinski und Alo Koll, von Studioformationen wie Gerhard Honig und Georg Möckel bzw. von den ab 1955 offiziell bei den drei DDR-Sendern ansässigen Klangkörpern: Rundfunktanzorchester Berlin, Ltg.: Günter Gollasch (Berliner Rundfunk), Rundfunktanzorchester Leipzig (Radio DDR) und Großes Tanzstreichorchester des Deutschlandsenders.
Der grundsätzlich bis Ende der 1950er erfolgte Einsatz von West-Interpreten und Orchester war ein Balanceakt mit Kalkül: prominente Schlagerstars des Westens kamen auch mit Melodien von jungen DDR-Komponisten und Textautoren wie Gerd Natschinski, Walter Eichenberg, Gerhard Honig bzw. Ursula Upmeier, Helmut Kießling und Willy Schüller zu Gehör. Dies wiederum führte zu einer höheren Einschaltquote der DDR-Medien und der Kauf ihrer Schallplatten zum Umsatz bei Amiga. Hier einzuordnen ist auch die erwähnte Tatsache, dass die erste Schlagersängergeneration häufig durch Westtitel, die bei Amiga produziert wurden, ihren Bekanntheitsgrad erhöhen konnte. Dies war je nach der „politischen Schönwetterlage“ mal mehr, mal weniger- auf keinen Fall aber im Interesse von Partei und Regierung. Das galt bis Anfang der 1960er auch für die Tätigkeit der Tanzmusik-Lektorate an den drei Rundfunksendern und bei Amiga.
Tanzmusik- und Kulturkonferenzen unter Führung der SED verabschiedeten verstärkt ab 1958 Maßnahmen und Beschlüsse, die u.a. zur Eigenständigkeit der DDR-Tanzmusik führen sollten und in der Tat beitrugen: DDR-Musik- und Schlagerwettbewerbe, die vom Berliner Rundfunk durchgeführte „Kleine Premiere“, die Schaffung des Modetanzes Lipsi sowie die Gründung des Amiga-Nachwuchsstudios, aus dem dann 1958 das Rundfunk-Nachwuchsstudio entstand. Interpreten ab Mitte der 1950er wie Julia Axen, Helga Brauer, Jenny Petra, Mary Halfkath, Bärbel Wachholz, Hartmut Eichler, Erhard Juza, Paul Schröder wurden so entdeckt und gefördert.
Die bereits 1953 eingeführte Spielerlaubnis für Musiker wurde Ende der 1950er konkretisiert und auch für Interpreten erweitert. Letztlich musste ein auf der Bühne stehende(r) Sänger(in) einen Berufsausweis als solchen vorlegen und ab 1970 erfolgte eine Einstufung der künstlerischen Leistungen, die die Grundlage für das Honorar eines Interpreten bildete. Ab Anfang der 1960er wurden Nachwuchsstudios in den Bezirken und letztlich 1968 das Zentrale Studio für Unterhaltungskunst eingerichtet. Die Ausbildung hier galt als Studium. Der Abschluss war ein Diplom, mit dem man sich als „Staatlich geprüfter Schlagersänger(in)“ bezeichnen durfte. Die ab 1958 durchgeführte Fernseh-Talentshows „Herzklopfen kostenlos“ mit Heinz Quermann und ab Anfang der 1980er „Sprungbrett“ entdeckten u.a. in den 1960ern Arite Mann, Chris Doerk, Karin Heyn, Helga Zerrenz, Frank Schöbel, Roland Neudert, Volkmar Böhm, in den 1970ern Ingrid Raack, Peter Albert und Gerd Christian sowie Linda Feller, Olaf Berger, Hendrik Bruch in den 1980ern, um hier nur einige zu nennen.
Die eigenständige DDR-Tanzmusikszene hatte sich entwickelt. Besonders die Aufnahmen zwischen 1963 und 1967 im sogenannten „Kretschmer-Sound“ fanden auch in der damaligen Bundesrepublik reges Interesse, aber auch Schlager wie „Das schönste Mädchen der Welt“(Günter Geißler), „Immer wenn du lachst“ (Britt Kersten) oder „Es ist nie zu spät“ (Klaus Sommer)… Es waren hochklassige Produktionen, die sich kompositorisch, textlich und im Arrangement nicht vor den Titeln im Westen zu verstecken brauchten. Sendungen wie bei Radio DDR „Schlagerlotterie“ (1953 bis 1958; ab Okt. 1958 Umbenennung in „Schlagerrevue“ bis 1989) und „Schlager-ABC“ (1958 bis 1990) beim Berliner Rundfunk, die Fernseh-und Radio-Übertragungen des „Amiga-Cocktails“ von 1958 bis 1964, die Fernseh- „Tip-Parade“ von 1962 bis 1965 sowie u.a. die Fernsehsendungen „Schlagerstudio“ und „Bong“ trugen zur Popularität der DDR-Tanzmusik bei, in der bis zum Ende der DDR grundsätzlich liebevoll die deutsche Sprache gepflegt wurde. Das gilt übrigens grundsätzlich auch für die Rock- und Beatmusik.
1984 sangen 220 Interpreten mit Berufsausweis auf einer Amiga-Single „Alt wie die Welt“ (Schöbel /Lasch), darunter Andreas Holm und Thomas Lück, Lutz Jahoda und Peter Wieland, Dagmar Frederic und Siegfried Uhlenbrock, Monika Hauff und Klaus- Dieter Henkler...
Längst war der DDR-Schlager auch international anerkannt: U.a. zählen Bärbel Wachholz, Dagmar Frederic, Regina Thoss, Vera Schneidenbach, Fred Frohberg, Andreas Holm, Hans-Jürgen Beyer, Uwe Jensen zu preisgekrönten Interpreten auf internationalen Festivals.
Nach 1990 fiel die DDR- Tanzmusik mit ihren Akteuren samt Studios, Verlage… - wie andere DDR-Produkte auch - in ein tiefes Loch. Bis heute wird von vielen Seiten her unbegründet versucht, sie dort zu belassen. Den DDR-Rundfunk-als größter Musikproduzent Europas- gab es nicht mehr. Das Plattenlabel „AMIGA“ wurde gemeinsam mit den anderen Labels des „VEB Deutsche Schallplatten“ zunächst in eine GmbH umgewandelt, nach erfolgter Privatisierung bis 1994 stillgelegt und „abgewickelt“. Seitdem wird das Repertoire von mehr als 30.000 Titeln (von 2200 Schallplattenproduktionen und 5000 Singles) von der BMG Berlin Musik GmbH, jetzt Sony Music Entertainment, vermarktet. Die beiden Musik-Verlage „VEB Lied der Zeit“ und „Harth-Musik- Verlag“ wurden für eine symbolische Mark vom Roba-Verlag, Hamburg bzw. vom Gerig-Musikverlag, Bergisch Gladbach, erworben.
Die Menschen im Westen Deutschlands kennen den Schlager des Ostens zumeist nicht und vermissen ihn deswegen auch nicht, auch wenn einige wenige DDR-Interpreten wie Frank Schöbel oder Hauff& Henkler Anfang der 70er Jahre in einigen ARD- und ZDF-Musikshows Erfolge feierten…
Den Menschen im Osten wird hingegen von einigen Medien-Leuten und Politikern immer wieder eingeredet, dass sie früher „Honeckers Musik“ hören mussten und dass diese heute nicht mehr zeitgemäß sei.
Nach dem Lesen der hier stehenden Seiten, die mit viel Akribie und generell Zeitaufwand von Ino Hammer zusammengetragen wurden, kommen Sie vielleicht auch zu meiner Einschätzung, dass der Ost-Schlager mit seiner 40-jährigen Geschichte ein Stück Musik-Historie des vergangenen Jahrhunderts ist, und er deshalb als Teil eines deutschen Kulturgutes zu schützen und zu pflegen ist. In Hörerzuschriften zu meiner Sendereihe „Kofferradio“ bei ALEX Berlin aus allen Gegenden der Bundesrepublik lese ich des Öfteren, dass so manches musikalisches Ostprodukt wesentlich besser ist, als sein Ruf. Im Zusammenhang mit meiner Radio-Sendung „Kofferradio“ auf ALEX-Berlin und mit den Lesungen zu meinen Schlagerbüchern weiß ich, dass die DDR-Tanzmusik ihre Fans noch heute hat.

Berlin, April 2023

Siegfried Trzoß, Schlagertexter, Buchautor und Moderator www.siggitrzoss.de